News Nachruf für Prof. Dr. med. Norbert Gschwend, 29.08.1925 – 22.03.2020
Am 22. März 2020 hat uns mit Professor Norbert Gschwend eine grosse Persönlichkeit der Orthopädie und Handchirurgie verlassen. Erfahren Sie im Nachruf von Dr. med. Daniel Herren mehr über den visionären Arzt, Freund, Lehrer und Mentor der Schulthess Klinik.
Am 22. März 2020 hat uns eine grosse Persönlichkeit der Orthopädie und Handchirurgie verlassen: Professor Norbert Gschwend. Mit ihm hat die orthopädische Chirurgie und speziell die Rheumachirurgie einen Pionier und Visionär verloren. Mit seinem unglaublich offenen Geist, neugierig auf alles, hat er eine ganze Epoche der chirurgischen Disziplin mitgestaltet. Mit seinem schier unstillbaren Wissensdurst, seiner charismatischen Art, dieses Wissen zu vermitteln, und seiner Empathie, die Erkenntnis in den Dienst der Patienten zu stellen, hat er eine ganze Generation von Orthopäden und Handchirurgen geprägt.
Wer ihn als Lehrer erleben durfte, hat miterlebt, wie er eloquent in vier Sprachen während einer komplexen Operation die zahlreichen Gastärzte und Auszubildenden schulte. Seine ausserordentlichen didaktischen Fähigkeiten haben dazu beigetragen, dass er weltweit ein gefragter und respektierter Redner war.
In einer Zeit, in der Kunstgelenkersatz noch in den Kinderschuhen steckte, war er einer der Pioniere, der an vorderster Front an solchen Lösungen gearbeitet hat. So war er zum Beispiel 1969 weltweit der erste Handchirurg, der ein 2-Komponenten-Kunstgelenk in ein durch die Rheumaerkrankung komplett zerstörtes Handgelenk eingesetzt hat. Zusammen mit seinem medizinischen Partner Professor Dr. Heiner Scheier und dem Ingenieur André Bähler hat er an verschiedenen Kunstgelenklösungen gearbeitet. Unter dem Namen «GSB» wurden neben dem Handgelenk auch schmerzhaft zerstörte Kniegelenke und Ellbogen in ganz Europa mit ihren Implantaten ersetzt. Sie waren es, die sich mit viel Engagement und Herzblut für die Verbesserung der Lebensqualität von Patienten mit zerstörten Gelenken eingesetzt haben.
Im Jahr 1962, im Alter von 37 Jahren, hat Norbert Gschwend die Schulthess Klinik im Kreis 8 in Zürich übernommen. Zum damaligen Zeitpunkt war die Klinik eine kaum beachtete, kleine Institution mit einem einzigen Arzt, zwei Pflegenden und wenigen Betten. Man war darauf spezialisiert, vor allem konservative Langzeitbehandlungen am Bewegungsapparat anzubieten. Es handelte sich damals vor allem auch um Kinder, die unter Wirbelsäulenverkrümmungen litten, Gehschwierigkeiten hatten, durch Geburtsgebrechen an der Hüfte oder unter den Folgen der damals noch aktiven Poliomyelitis litten.
Nach einer unglaublich intensiven und harten Anfangszeit, in der die Klinik bisweilen kurz vor dem Bankrott stand, hat Norbert Gschwend die Schulthess Klinik zu einer weltweit anerkannten Institution in der Behandlung von orthopädischen Leiden gemacht. Besonders am Herzen lagen ihm die Patienten mit einer rheumatoiden Arthritis, damals noch Polyarthritis genannt. Diese heimtückische, autoimmun gesteuerte Krankheit konnte man in jener Zeit mit medikamentösen Mitteln kaum kontrollieren. Folge davon waren Gelenkzerstörungen in einem Ausmass, das viele Patienten in die Invalidität führte. Einige von Gschwends Patienten waren vor seiner chirurgischen Behandlung immobil im Bett und vollständig auf externe Pflege angewiesen, unfähig, selbständig zu essen. Vielen dieser Menschen konnte er ein zweites Leben schenken und ihnen eine gewisse Mobilität und vor allem Unabhängigkeit zurückgeben.
Norbert Gschwend war immer daran gelegen, sein medizinisches Tun so zu dokumentieren, dass er selber auch immer dazugelernt hat. Er hat Qualitätsinitiativen in Gang gesetzt, zu einer Zeit, in der noch niemand diesen Begriff in der Medizin überhaupt systematisch verwendet hätte.
Er legte zudem grossen Wert darauf, den internationalen Austausch zu pflegen und immer von den Besten zu lernen. Seine orthopädischen und handchirurgischen Schüler sind immer in den Genuss einer Ausbildung gekommen, die sich an führenden Persönlichkeiten und Institutionen orientierte.
Er war Mitbegründer vieler orthopädischer und handchirurgischer Fachgesellschaften im In- und Ausland, und gerade in der Rheumachirurgie war er ein europäisches Aushängeschild, an dem sich viele Kollegen und Kliniken orientiert haben.
Norbert Gschwend war ein ausgesprochener Team-Player. Früh hat er angefangen, interprofessionell und interdisziplinär zu arbeiten und zu denken. Der Umgang im Team war geprägt von gegenseitiger Wertschätzung und Offenheit. Und selbst die Meinung junger Assistenten war gefragt und wurde respektiert. Die Fortschritte in der Rheumachirurgie sind auch seiner Initiative zu verdanken, alle betreuenden Personen in den Behandlungsplan einzubeziehen. Er war einer der Ersten in der Schweiz, die konsequent den Austausch mit den nicht operativ tätigen Rheumatologen gesucht und auch gefunden haben.
Viele nationale und internationale Ehrungen und Preise zeugen vom professionellen Erfolg von Norbert Gschwend. Bei ihm stand aber immer der Patient im Mittelpunkt, und Ziel seiner schier unerschöpflichen Schaffenskraft war die stetige Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten in seinem Fachgebiet.
Im Jahr 2000 zog sich Norbert Gschwend von seiner aktiven, klinischen Tätigkeit in der Schulthess Klinik zurück und hat fortan mehr Zeit im Kreise seiner Familie verbringen können. Seine bis zuletzt vorhandene Neugier, gepaart mit einer unglaublich breiten humanistischen Bildung, hat ihn zu einem faszinierenden Gesprächspartner gemacht. In kritischen Gesprächen war er dabei nie wertend oder belehrend. Vielmehr war er ein Philosoph, der versucht hat, einem Thema möglichst viele Facetten abzugewinnen.
Mit Norbert Gschwend verlieren wir einen Freund, Lehrer und Mentor, der als visionärer Arzt weit über die Grenzen von Zürich hinaus sein medizinisches Fachgebiet mitgeprägt hat.
Dr. med. Daniel Herren MHA, Chefarzt Handchirurgie, Schulthess Klinik Zürich