Tarsaltunnelsyndrom Nervenengpass – Syndrom des Nervus tibialis mit Kribbeln, Taubheit und Brennschmerzen an der Fusssohle
Der 66-jährige Patient stellte sich erstmals im April 2013 in unserer Sprechstunde mit seit sechs Monaten bestehenden Kribbelsensationen und Taubheitsgefühl an den Fusssohlen vor. Die Beschwerden traten mit Betonung der linken Seite zuverlässig reproduzierbar nach 15 bis 30 Minuten zügigem Gehen zuerst am Vorfussballen auf, um sich dann auf die Zehen und die Fusssohlen auszubreiten.
Ging er weiter, kamen ausserdem Brennschmerzen an den Fersen dazu. Die Beschwerden liessen nach, sobald der Patient für einige Minuten pausierte, so dass er jeweils höchstens 30 Minuten am Stück wandern konnte, was ihn - einen passionierten Berggänger - erheblich störte. Während kurzzeitiger körperlicher Belastungen oder langsamer Spaziergänge traten die Symptome nicht auf. In Ruhe, d. h. im Sitzen oder Liegen war er beschwerdefrei.
Er nahm Medikamente gegen hohen Blutdruck, hatte 1993 einen Herzinfarkt, von dem er sich gut erholt hat. Das Rauchen wurde 2007 endgültig aufgegeben. Die Untersuchung seiner Füsse erschien zunächst unauffällig, Durchblutungsstörungen konnten bei gut tastbaren Fusspulsen und normaler Rekapillarisierungszeit praktisch ausgeschlossen werden. Die Röntgenaufnahmen zeigten altersentsprechende Verhältnisse, degenerative Gelenksveränderungen waren nicht vorhanden.
Bei den sensomotorischen Prüfungen zeigte sich dann eine Besonderheit: Über dem Nerven, der hinter dem Innenknöchel verläuft, dem Nervus tibialis, liess sich das sogenannte Tinel – Zeichen auslösen, dies aber nur linksseitig.
Das Tinel – Zeichen ist positiv, wenn bei Beklopfen eines geschädigten Nerven eine Überempfindlichkeit besteht und in seinem Versorgungsgebiet ein elektrisierendes Gefühl ausgelöst wird.
In diesem Fall zeigte der Nervus tibialis, welcher mit seinen Ästen die Sensibilität der Fusssohle vermittelt, ausserdem die kurzen Fussmuskeln motorisch versorgt, dieses Phänomen. Die geschilderten Beschwerden zusammen mit dem Tinel – Zeichen liessen an das Vorliegen eines Tarsaltunnel – Syndroms denken. Hierbei handelt es sich um ein Nervenengpasssyndrom am Fuss, bei welchem der Nervus tibialis in seinem Verlauf hinter dem Innenknöchel mechanisch eingeengt wird.
Als Tarsaltunnel wird der Raum hinter dem Innenknöchel bezeichnet, durch welchen die langen Beugesehnen des Fusses zusammen mit dem Nervus tibialis sowie den Gefässen (Arterie und mehrere Venen) verlaufen und welcher an der Oberfläche durch das breite Halteband für die langen Beugesehnen (Retinaculum flexorum) gedeckt wird. Die Einengung des Nerven führt zu einer Fehlfunktion mit Auftreten verschiedener Symptome: Die Betroffenen schildern Brennschmerzen, Kribbeln und Ameisenlaufen, Krämpfe und Taubheitsgefühl an den Fusssohlen, meist unter Belastung, teils aber auch in Ruhe und nachts auftretend. Dies kann soweit gehen, dass die Patienten schmerzbedingt kaum noch schlafen können. Die Symptome können einzeln oder kombiniert vorhanden sein, typischerweise sind gängige Schmerzmittel praktisch wirkungslos.
Das Tarsaltunnelsyndrom kann verschiedene Ursachen haben: Zu nennen sind raumfordernde Prozesse im Tarsaltunnel wie z. B. ein Sehnenscheidenganglion oder erweiterte Venen ähnlich Krampfadern, welche den Nerven bedrängen. Ausserhalb des Tarsaltunnels können Knochenvorsprünge den Nerven bei bestimmten Bewegungen kompromittieren und positionsabhängig Symptome hervorrufen.
Häufig findet man aber intraoperativ nur ein die Nerven einengendes Retinaculum (Halteband) und sonst keine konkrete Ursache. Bildgebende Verfahren helfen bei der Diagnostik selten weiter, so dass man sich in den meisten Fällen auf die Anfertigung normaler Röntgenbilder des Fusses und Sprunggelenkes beschränkt.
Unsere Verdachtsdiagnose konnte von neurologischer Seite bestätigt und mittels der elektrophysiologischen Untersuchung bewiesen werden. Die Infiltration des linken Tarsaltunnels mit einem Cortisonpräparat hatte keinen positiven Einfluss auf die beklagten Beschwerden, weswegen wir bei grossem Leidensdruck des Patienten und fehlenden Alternativen die Indikation zu einem operativen Eingriff stellten.
Ziel der Operation ist die Entlastung des eingeengten Nerven, was mittels Durchtrennung des Haltebandes der Beugesehnen (Retinaculum flexorum) gelingt.
Dieser Eingriff kann in Lokalanästhesie des Fusses (Fussblock) erfolgen, eine Übernachtung im Spital mit konsequenter Hochlagerung des Beines zur Vorbeugung eines lokalen Hämatoms wird empfohlen. Postoperativ wird der Fuss für drei Wochen in einer Unterschenkel – Orthese unter Teilbelastung an Unterarmgehstöcken ruhiggestellt, um lokale Vernarbungen, die wiederum zu Einengungssymptomen führen könnten, zu vermeiden. Die Durchtrennung des Haltebandes führt zu keinen funktionellen Beeinträchtigungen. Die möglichen Komplikationen dieses Eingriffes entsprechen den allgemeinen Operationsrisiken, in erster Linie sind hierbei Infektion und Wundheilungsstörung zu nennen.
Ob sich der Nerv nach der Dekompression tatsächlich erholt, kann präoperativ nicht mit Sicherheit gesagt werden, letztlich bleibt im Verlauf abzuwarten, ob die Symptome nachgeben. Die Operation am beschwerdeführenden linken Fuss wurde im November 2013 durchgeführt und verlief komplikationslos. Intraoperativ war die Einengung des Nerven durch das Retinaculum flexorum mit blossem Auge erkennbar. Der Nerv selbst wies keine sichtbaren Veränderungen auf, so dass die Chancen für seine Erholung nach Lösen der einengenden Struktur gut waren.
Der postoperative Verlauf gestaltete sich unproblematisch. Erfreulicherweise sind die Symptome, wie Belastungsproben wenige Wochen nach der Operation zeigen konnten, nicht mehr aufgetreten. Residuell war ein nicht störendes Taubheitsgefühl an den Zehen 3 bis 5 verblieben, welches sich im Verlauf noch geben kann. Aufgrund des guten Ergebnisses wünscht der Patient die Operation auf der rechten Seite in absehbarer Zeit ebenfalls machen zu lassen.