Distorsionen des Sprunggelenkes
Distorsionen am Sprunggelenk kommen sehr häufig vor. Welcher Teil des Kapselapparats ist in der Regel betroffen? Welche Begleitverletzungen sind möglich? Was ist bei der klinischen Untersuchung wichtig und wie sieht die Behandlung aus? Unser Praxistipp gibt Ihnen konkrete Hilfestellungen für den Praxisalltag.
Distorsionen des Sprunggelenks sind sehr häufige Verletzungen. Man unterscheidet das obere und das untere Sprunggelenk, wobei das obere Sprunggelenk eine grössere Beweglichkeit mit mehr Freiheitsgraden aufweist und deshalb beim Verletzungsmechanismus eine wichtigere Rolle einnimmt. Die Inzidenz einer Sprunggelenksdistorsion ist hoch und stellt ein erhebliches Risiko bei einer Vielzahl von Aktivitäten und Sportarten dar. Eine Distorsion des Sprunggelenks ist häufig mit akuten Symptomen wie Schmerzen, Schwellungen und Funktionseinschränkungen verbunden. Betreffend Langzeitprognose klagt ein hoher Anteil der Patienten (bis zu 70 %) über anhaltende Restsymptome und Verletzungsrezidive.
Die Diagnose kann klinisch anhand einer Schwellung und Blutergüssen am Knöchel sowie bewegungs- und belastungsabhängigen Schmerzen gestellt werden. Röntgenaufnahmen sind zum Ausschluss einer häufig Fraktur angezeigt.
Die Behandlung umfasst in der Regel eine kurze Ruhigstellung, gefolgt von einer frühfunktionellen Physiotherapie. In seltenen Fällen ist eine operative Behandlung angezeigt, zum Beispiel bei Syndesmosenverletzungen oder bei chronischer Knöchelinstabilität mit rezidivierenden Sprunggelenksdistorsionen.
Im Folgenden finden Sie detaillierte Informationen über mögliche Ausprägungen der Verletzung, Untersuchungstipps und die Behandlungsmöglichkeiten.
Anatomie der Bänder des Sprunggelenks
Der laterale Kapselbandapparat besteht aus drei Hauptkomponenten und ist bei einer Sprunggelenksdistorsion am häufigsten verletzt: das Ligamentum talofibulare anterius, das Ligamentum calcaneo-fibulare und das Ligamentum talofibulare posterius.
Das Ligamentum talofibulare anterius ist das am häufigsten betroffene Band. Der Verletzungsmechanismus beinhaltet eine Plantarflexion und Inversion. Bei der körperlichen Untersuchung zeigt sich eine Instabilität anhand eines positiven Schubladentests mit verlängertem Weg bis zum Anschlag nach anterior im Seitenvergleich bei plantarflektiertem Fuss.
Das Ligamentum calcaneo-fibulare ist das am zweithäufigsten betroffene Band. Hier befindet sich der Fuss bei der plötzlichen Inversion in einer Dorsalextensionsstellung. Der Schubladentest ist entsprechend bei dorsalextendiertem Fuss positiv.
Das Ligamentum talofibulare posterius ist sehr kräftig und nur selten betroffen.
Das Ligamentum deltoideum ist ein kräftiges Band, das am medialen Malleolus entspringt und fächerförmig am Os naviculare, am Calcaneus und am Talus ansetzt. Aufgrund seiner kräftigen Struktur ist es bei einer OSG-Distorsionsverletzung ohne Frakturfolge selten verletzt.
Die vordere Syndesmose verbindet die Fibula mit der Tibia und stabilisiert somit die Malleolengabel. Sie umfasst das anterior-inferiore tibiofibulare Band. Die hintere Syndesmose besteht aus dem posterior-inferioren tibiofibularen Band und ist der stärkste Bestandteil der Syndesmose, weshalb sie selten rupturiert. Das Ligamentum interosseum und das inferiore transversale Band gehen proximal in die Membrana interossea über.
Mechanismus der Verletzung am Sprunggelenk
Am häufigsten findet sich ein seitliches Umknicken des plantarflektierten Fusses (Supination; Abb. 3, blauer Pfeil). Rezidivierende Supinationstraumen des Sprunggelenks können zu einer chronischen Instabilität führen.
Syndesmosenverletzungen betreffen die distalen tibiofibulären Bänder und entstehen zusätzlich zum obengenannten Mechanismus durch eine plötzliche Aussenrotation des Fusses resp. Innenrotation des Unterschenkels (Abb. 3, grüner Pfeil). Die vordere Syndesmose ist in 10% aller Sprunggelenksdistorsionen verletzt.
Klinik
Bei der ersten Untersuchung fallen insbesondere belastungsabhängige Schmerzen, eine lokale Schwellung und manchmal ein Hämatom auf. Um den Schweregrad der Verletzung in einem ersten Schritt grob abschätzen zu können, hilft eine Kategorisierung basierend auf den Kriterien Schmerz, Ausmass der Schwellung und eines allfälligen Hämatoms.
- Schweregrad I: Bänderdehnung, wenig Schwellung und Hämatom, keine belastungsabhängigen Schmerzen
- Schweregrad II: partielle Bandruptur, mittelgradige Schwellung und Hämatom, leichte belastungsabhängige Schmerzen
- Schweregrad III: vollständige Bandruptur, ausgeprägte Schwellung und Hämatom, ausgeprägte belastungsabhängige Schmerzen
Klinische Untersuchung nach einer Distorsion des Sprunggelenks
Bei einer ausgeprägten Schwellung ist die Untersuchung initial erschwert. Zunächst muss eine Fraktur mittels Röntgenuntersuchung ausgeschlossen werden. Insbesondere bei folgenden Befunden könnte eine Fraktur vorliegen: Belastungsunfähigkeit, Druckdolenzen des medialen und/oder des lateralen Malleolus, der Basis des Os metatarsale 5, des Processus lateralis tali (unmittelbar distal des lateralen Malleolus) und/oder des Fibulaköpfchens kniegelenksnah. Alle erwähnten anatomischen Landmarken können einfach palpiert werden.
Die Standard-Röntgenaufnahmen beinhalten grundlegend die Strahlengänge antero-posterior und seitlich des oberen Sprunggelenkes, falls möglich belastet. Bei Verdacht auf eine Fraktur im Fuss müsste dieser ebenfalls in zwei Ebenen (dorsoplantar und seitlich) geröntgt werden.
Falls keine Fraktur vorliegt, wird eine seitlich stabilisierende Schiene (Abb. 4) angepasst. Damit darf der Patient den Fuss nach Beschwerdemassgabe belasten. Unterarmgehstützen können nach Bedarf in Anspruch genommen werden.
Nach 1-2 Wochen und entsprechender Abschwellung ist die Untersuchung des Fusses ergiebiger, sodass dann eine nochmalige klinische Untersuchung Sinn macht. Die klassische Vorgehensweise einer systematischen Untersuchung hat sich bewährt: Inspektion, Palpation, Bewegungsprüfung, Funktionstests.
Inspektorisch sollte auf das Ausmass der Schwellung und Vorhandensein sowie Lokalisation eines Hämatoms geachtet werden. Palpatorisch können die bereits erwähnten anatomischen Landmarken wie die anteriore Syndesmose, die drei Hauptligamente lateral, das Lig. Deltoideum, der Gelenkspalt tibiotalar und die Peronealsehnen posterior entlang des lateralen Malleolus beurteilt werden.
Um die Integrität und Stabilität der Peronealsehnen zu überprüfen, wird eine Pronation gegen Widerstand durchgeführt (Abb.5). Bei einer Instabilität durch Verletzung der Peronealsehnenführung kann die Sehne dabei nach vorne über den lateralen Malleolus luxieren.
Als sensitivster Test gilt der Aussenrotations-Stresstest mit dadurch verursachtem Schmerz über der vorderen Syndesmose. Dabei wird der Patient aufgefordert, das Kniegelenk zu beugen. Mit der einen Hand wird der Fuss von plantar fixiert und unter axialer Kompression in die Dorsalextension und Aussenrotation überführt. Mit der anderen Hand wird oberhalb des Kniegelenkes der Gegendruck ausgelöst. Ebenfalls Hinweis für eine Syndesmoseninstabilität ist eine vermehrte Translation der Fibula in der Sagittalebene im Seitenvergleich. Bei klinischem Verdacht auf eine Syndesmosenläsion ist die Durchführung einer Magnetresonanz (MRI)-Untersuchung indiziert.
Mögliche Begleitverletzungen am Sprunggelenk
Bei fehlender eindeutiger Besserung der Beschwerden nach 1-2 Wochen besteht zusätzlich der Verdacht auf eine Begleitverletzung. Eine weitergehende Bilddiagnostik, meistens in Form einer Kernspintomographie (MRI), ist dann indiziert. Mögliche Begleitverletzungen nach radiologischem Ausschluss von Frakturen sind:
Osteochondrale Defekte, Verletzungen/Luxationen der Peronealsehnen, Verletzung des Ligamentum deltoideum. Zusätzlich können okkulte Frakturen rund um das Sprunggelenk, unter anderem auch am Processus anterior calcanei und am lateralen oder hinteren Talusfortsatz nachgewiesen werden.
Bei chronischer Schmerzentwicklung prämalleolär lateral und am Fussrücken muss an eine Neurapraxie des beim Unfallereignis überdehnten Nervus peroneus superficialis gedacht werden. Klinisch kann ein lokales Tinel-Zeichen ausgelöst werden. Eine signifikante Beeinträchtigung des Nervs lässt sich neurologisch mittels elektrophysiologischer Untersuchung nachweisen. Strukturelle Veränderungen des verletzten Nervs können sonografisch dargestellt werden. Die Behandlung beinhaltet eine sonografisch gesteuerte Infiltration des Nervs. Selten ist eine Neurotomie mit Tiefenverlagerung des Nervenstumpfes notwendig.
Therapie bei Sprunggelenksdistorsionen
Konservative Behandlung
Bei akuten Sprunggelenksdistorsionen mit nachweisbaren lateralen Bandläsionen ohne chronische Rückfussinstabilität in der Anamnese ist die Therapie grundsätzlich konservativ. Eine frühzeitige funktionelle Rehabilitation ermöglicht die schnellstmögliche Rückkehr zu körperlichen Aktivitäten.
Um die Schmerzen und die Schwellung einzudämmen, wird der Fuss zunächst geschont, gekühlt, eingebunden und hochgelagert. Anhand mehrerer Studien konnte gezeigt werden, dass diese Massnahmen zwar schmerzlindernd, aber nur kurzfristig von Nutzen sind und im längerfristigen Verlauf keine Verbesserung von Funktion und Rezidivrate gegenüber Vergleichsgruppen aufweisen. Der Behandlungserfolg hängt vielmehr von der Physiotherapie ab. Um eine frühfunktionelle Physiotherapie zu gewährleisten, wird eine vor allem seitlich stabilisierende Schiene (Abb. 4) angepasst. Die Schiene sollte mindestens 3-4 Wochen tagsüber konsequent getragen werden. Um die fussstabilisierende Muskulatur früh zu kräftigen, sollte der Patient sie danach möglichst bald im Alltag weglassen und nur noch punktuell bei stärkerer Belastung tragen. Bei Grad-III-Sprunggelenksdistorsionen mit ausgeprägter Schwellung, Hämatombildung und Belastungsunfähigkeit kann eine ca. 10-tägige Ruhigstellung im Gehstiefel mit Teilbelastung sinnvoll sein.
Patienten mit Grad-I- und II-Verletzungen sollten möglichst früh in die Vollbelastung übergehen. Physiotherapeutisch stehen zunächst Bewegungsübungen im Vordergrund. Falls wieder ein guter Bewegungsumfang des Sprunggelenkes besteht und sowohl Schwellung wie auch Schmerzen regredient sind, sollte rasch auf Kräftigungs-, Propriozeptions- und aktivitätsspezifische Übungen übergegangen werden.
Während der Kräftigungsphase wird zur Einschränkung und Kontrolle der In- und Eversion des Rückfusses weiterhin die seitlich stabilisierende Schiene verwendet. Der Schwerpunkt des muskelkräftigenden Trainings liegt auf der Kräftigung der Peroneusmuskeln und dem Training der Propriozeption.
Eine durch einen Physiotherapeuten überwachte und instruierte Behandlung hat sich in der frühen Phase insofern als vorteilhaft erwiesen, dass die Patienten ihren Aktivitätsgrad schneller steigern konnten. Studien bestätigen zudem, dass die Physiotherapie die patienten-basierten Funktionsscores nach einer akuten Verstauchung des Sprunggelenks verbessert. Zusätzlich bestätigen sie auch die Wirksamkeit der Physiotherapie bei der Propyhlaxe eines Rezidivs nach einer akuten Sprunggelenksdistorsion.
Operative Behandlung
Operative Versorgungen sind bei längerfristigen Instabilitäten und/oder Schmerzen notwendig. Das Ausmass der Operation hängt mit den Begleitverletzungen zusammen. Zur chirurgischen Stabilisierung des lateralen Kapselbandapparates hat sich die Technik nach Broström-Gould bewährt. Dabei werden die lädierten Kapselband-Anteile gerafft und mit dem lateralen Teil der Strecksehnenführung des oberen Sprunggelenkes (Retinaculum extensorum) verstärkt.
Autor: Dr. med. Thomas Rutishauser, Leitender Arzt Fusschirurgie